Diplomarbeit von Kerstin Liekenbrock: Selbstregulation, FH Mannheim 2002
Inhalt
      1.3. Zum Aubau der Arbeit

   2. Grundgedanken der psychoanalytischen Pädagogik
      2.1. Gegenstand der Psychoanalyse
      2.2. Kurzer geschichtlicher Überblick der Psychoanalyse und die Entstehung der psychoanalytischen Pädagogik
      2.3. Die psychoanalytischen Wurzeln Sigmund Freuds
         2.3.1. Das Instanzenmodell
         2.3.2. Das Neurosenmodell

         2.3.3. Das Phasenmodell



2. Grundgedanken der psychoanalytischen Pädagogik

2.1. Gegenstand der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse befasst sich mit dem Einfluss unbewusster Prozesse auf menschliches Erleben und Verhalten. Sie ist ein Verfahren zur Untersuchung und Behandlung psychischer Fehlleistungen, Störungen oder Verdrängungen. Mit Hilfe bestimmter Methoden und spezifischer Interventionsmittel sollen unbewusste Prozesse erfahren und dem Bewusstsein zugänglich gemacht werden.

Freud entwickelte die Psychoanalyse zwischen 1900 und 1920 als eine Konfliktpsychologie, bei der die Konflikte zwischen den menschlichen Triebimpulsen und den einschränkenden Forderungen des Über-Ichs zentrales Thema sind.

Bereits in den 1930er Jahren entwickelte sich die Ich-Psychologie (u.a. Hartmann), als eine eigenständige Richtung in der Psychoanalyse weiter. Sie befasst sich dabei speziell mit der Frage, welche Möglichkeiten dem Ich zur Verfügung stehen, sich mit den drängenden Triebwünschen auseinander zusetzen und sie zu sublimieren, d.h. sie in kulturell akzeptierte Bahnen zu lenken. Zudem befasst sie sich mit der differenzierten Untersuchung bestimmter Ich-Funktionen und der Weiterentwicklung des Ich-Begriffs mit dem Ziel, Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten bei Freud aufzulösen (Mertens, 1997: 163 f.).

Die psychoanalytische Selbstpsychologie (u.a. H. Kohut) befasst sich seit den 60er Jahren auf den Grundlagen Freuds mit den Bedingungen der Selbst-Entwicklung sowie ihren Störungen. Sie sieht den Menschen, im Gegensatz zur klassischen Psychoanalyse, nicht als Objekt und Einzelwesen, sondern von Geburt an in permanenter Beziehung und Interaktion mit seiner Umwelt (Mertens, 1997: 119 f.).

Die psychoanalytische Objektbeziehungstheorie (u.a. D. Winnicott, M. Mahler, J. Sandler, J. Mitchell) tritt in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den Vordergrund. Erforscht werden die frühen Beziehungserfahrungen des Menschen, besonders die frühe Mutter-Kind- Beziehung, in der primäre Beziehungsmuster erworben werden, die später als unbewusste Beziehungserwartungen auch das erwachsene Leben bestimmen. Gestützt werden die Erkenntnisse der Objektbeziehungstheorie von der modernen Säuglingsforschung (u.a. J.D. Lichtenberg, D. Stern, H. und M. Papousek, R.N. Emde), bei der Hypothesen nicht mehr wie bisher aus klinischen psychoanalytischen Situationen gedeutet wurden, sondern aus Direktbeobachtungen in der experimentellen Situation. Die daraus gewonnenen empirischen Ergebnisse zwangen zur teilweisen Revision der traditionellen psychoanalytischen Entwicklungspsychologie (Mertens, 1997: 96 - 98).

2.2. Kurzer geschichtlicher Überblick der Psychoanalyse und die Entstehung der psychoanalytischen Pädagogik

Der geistige Wegbereiter der Psychoanalyse war Sigmund Freud (geb. 6.5.1856). Sigmund Freud wurde während seiner Studienzeit durch die Zusammenarbeit des mit Hypnose arbeitenden Arztes Joseph Breuer stark beeinflusst. Durch eigene Forschungen kam Freud von der Hypnose zu der Technik der "Freien Assoziation". Dabei entdeckte er das Phänomen des Widerstandes, sowie der Übertragung. In den folgenden Jahren entwickelte er nach und nach das theoretische Gebäude der Psychoanalyse.

Ab 1902 berief Freud bei sich in Wien eine wöchentliche Diskussionsrunde ein, die "Psychoanalytische-Mittwochs-Gesellschaft". Zur Anfangsrunde gehörten unter anderem Adler und Steckel, später gesellten sich noch weitere Mitglieder hinzu wie z.B. Abraham, Ferenczi, Jung, Reich (vergl. Zygowski 1987: 14 f.).

1908 wurde die Wiener Psychoanalytische Vereinigung gegründet. Im selben Jahr fand in Salzburg der 1. Psychoanalytische Kongress statt. Im Rahmen dieses Kongresse wurde von Sandor Ferenczi das erste Mal öffentlich über die allgemeinen Konsequenzen der Freudschen Entdeckungen referiert. In diesem Vortrag sprach Ferenczi die häufige Unzweckmäßigkeit vieler pädagogischen Methoden und Auffassungen an, welche viele "überflüssigen Seelenqualen" (Ferenczi 1970: 2) verursachen würden. "Die Persönlichkeit der Menschen ist infolge derselben schädlichen Erziehungseinflüsse mehr oder minder unfähig geworden, die naturgegebenen Freuden des Lebens unbefangen zu genießen. Wie selbstverständlich drängt sich also die Frage auf, welchen praktischen Nutzen die Pädagogik aus diesen Erfahrungen haben könnte? Die Frage ist keine rein wissenschaftliche, sie verhält sich zu der uns hauptsächlich interessierenden Disziplin, der Psychologie, wie die Gartenbaukunst zur Botanik......Das vorläufig ins Auge zu fassende Ziel der pädagogischen Reform wäre, die kindliche Seele von der Belastung unnötiger Verdrängungen zu schonen." (Ferenczi 1970: 2)

In unmittelbarem Zusammenhang mit den anfänglichen Erkenntnissen der Psychoanalyse entwickelte sich auch die psychoanalytische Pädagogik. Man versuchte nun die Erkenntnisse Freuds und der frühen Psychoanalyse pädagogisch umzusetzen; die Grundlagen zu alternativen Erziehungskonzepten entstanden.

Berlin (und später auch Frankfurt) gehörte neben Wien ebenfalls zu einem frühen psychoanalytischen Zentrum. Bereits 1920 entstand in Berlin (und 1922 in Wien) die erste Psychoanalytische Poliklinik, an der viele bedeutende Psychoanalytiker (u.a. M. Klein, E. Fromm, K. Horney) wichtige Erfahrungen sammeln konnten und ausgebildet wurden.

Sowohl in Berlin wie auch in Wien wurden zu dieser Zeit bereits Seminare und Kurse zu dem Thema "Psychoanalyse und Erziehung" angeboten. Im Oktober 1926 wurde in Wien das erste Heft der "Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik" von Heinrich Meng publiziert (vergl. Peters 1979: 161).

An der Entwicklung der psychoanalytischen Pädagogik der Freud-Schule waren folgende Psychoanalytiker maßgeblich beteiligt: Anna Freud, Paul Federn, Melanie Klein, Karen Horney, Siegfried Bernfeld, Wilhelm Reich, Sandor Ferenczi, Alice Balint, Erik H. Erikson, August Aichhorn, Hans Zullinger und Erich Fromm.

Sie alle lernten bei Freud und leisteten, neben der erziehungspraktischen Umsetzung der Psychoanalyse auch ebenso wichtige Beiträge zur Entwicklung der psychosomatischen Medizin.

Zu den wichtigsten Vertretern dieser erziehungswissenschaftlichen Theorie zählten zudem Reformpädagogen wie Alexander Sutherland Neill und Wera Schmidt.

Ab den 30er Jahren begann die Psychoanalytische Vereinigung zu zersplittern, und es entstanden zusehends eigenständige, an Freuds Thesen anlehnende Schulen (Adlers Individualpsychologie, Jungs analytische Psychologie u.s.w.). Beweggründe hierfür waren unter anderem die Tatsache, dass Freud seine Theorien mehrfach änderte und sich dadurch mit einigen seiner Schüler zerstritt. Einige seiner Thesen waren zudem Gegenstand wachsender Kritik.

Zu einer weiteren Erschütterung der psychoanalytischen Bewegung kam es durch den politischen Druck des Nationalsozialismus. Im Mai 1933 wurden Sigmund Freuds Schriften mit den Worten "Gegen die seelenzerstörende Überschätzung des Sexuallebens und für den Adel der menschlichen Seele" dem Feuer übergeben. Als "jüdische" Wissenschaft wurde die Psychoanalyse verfolgt und man versuchte sie gemäß nationalistischen Ideologien zu "reinigen". Fast alle Mitglieder der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) sahen ganz klar die Gefahr und die Bedrohung der Menschen durch das Hitler-Regime. Außer Wilhelm Reich äußerte sich jedoch niemand öffentlich zur politischen Situation, man ging den Weg des geringsten Widerstandes und verzog sich hinter seiner Couch.

Als jedoch der politische Druck immer größer wurde, spaltete sich die DPG. Einige der führenden Psychoanalytiker sahen sich gezwungen, ohne viel Aufsehen, zu emigrieren (K. Horney, M. Klein, O. Fenichel, S. Bernfeld). Die anderen nahmen den Standpunkt ein, dass die Psychoanalyse weltanschaulich neutral und unpolitisch sei und dass politisches Engagement lediglich eine Privatangelegenheit des Psychoanalytikers sei. Man versuchte Anpassungsbereitschaft zu signalisieren, um den Erhalt der psychoanalytischen Institutionen zu sichern (vergl. Mertens, 1997:13 - 19).

1934 übernahm C.G. Jung den Vorsitz der "Überstaatlichen allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie". Er arrangierte sich mit den Nazis und unterschied fortan zwischen einer jüdischen und einer arischen Psychologie (Zitat Jung: "Das arische Unbewusste hat ein höheres Potential als das jüdische...") (Zygowski 1987: 16). 1938 emigrierte Sigmund Freud.

Da die psychoanalytische Pädagogik auf den Forschungsergebnissen der Psychoanalyse fußt und den nationalsozialistischen Interessen entgegentritt, kam auch dieser Bereich zum Erliegen.

Nach dem 2. Weltkrieg zersplitterte die psychoanalytische Pädagogik in eine Vielzahl von unterschiedlichen Erziehungskonzepten. Die Forschungsarbeiten wurden diesbezüglich vor allem in den USA weitergeführt. Zu großen Teilen basieren diese Erziehungskonzepte auf den Grundlagen der psychoanalytischen Pädagogik, welche jedoch ergänzt und zum Teil auch revidiert wurden durch neuere Forschungsarbeiten der modernen Psychologie (z.B. der Objektbeziehungstheorie, wie auch den empirischen Erkenntnissen der modernen Säuglingsforschung).

Die Psychoanalytische Pädagogik wird auch heute noch diskutiert, wenn auch nur von einem kleinen, aber entschiedenen Kern Interessierter. Sie fasst momentan möglichst viele Phänomene unter einem "Dach" zusammen und arbeitet sowohl die unterschiedlichen Differenzen der einzelnen theoretischen Positionen heraus, wie auch an der situationsgerechten Umsetzung der psychoanalytischen Erkenntnisse in die Praxis.

2.3. Die psychoanalytischen Wurzeln Sigmund Freuds

2.3.1. Das Instanzenmodell

Freud ging davon aus, dass die menschliche Psyche in drei Instanzen untergliedert ist. Das Es, das Ich und das Über-Ich.

Das Es verkörpert die unbewussten, unauflösbaren Grundbedürfnisse und die primären Impulse. In ihm wirken die ursprünglichen, biologischen Triebe in animalischer, nicht sozialisierter Form. Diese inneren Urkräfte, welche hier zum tragen kommen, drängen auf sofortige und rücksichtslose Befriedigung primärer Bedürfnisse. Nach Freuds Auffassung besteht die eigentliche Lebensmotivation darin, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen.

" Das Es als energetischer Ort der Triebe drängt auf Entladung, Abfuhr und Entlastung von Spannungsdruck. In der Entladung stellt sich das seelische Gleichgewicht und die seelische Ökonomie wieder her (Regulationsdynamik). Der Sinn der Befriedigung ist Lustgewinn. Die Psyche hat die Tendenz, so zu operieren, dass Lust erlangt und Unlust vermieden wird." (Breinbauer, 1980: 311) Jedoch könnte dies ohne Korrektur durch die beiden anderen Instanzen, zu gefährlichen Konflikten mit der Außenwelt führen.

Das Über-Ich dagegen hat die Einschränkung der Bedürfnisse und Triebe zur Zielsetzung. In ihm sind die kulturellen Werte und Normen angelegt. Das Über-Ich umfasst den Bereich der Gebote und Verbote, es hat die Gewissensfunktion. Diese an sich äußeren Normen werden vom Kind in den ersten Lebensjahren verinnerlicht und manifestieren sich als neue psychische Instanz im Über-Ich. Dieses Über-Ich nimmt nun eine Kontrollfunktion ein, welche folglich nicht aus dem Kind selbst entspringt. Es überwacht, steuert und straft die Aktivitäten des Es.

Die Aufgabe des Ichs ist es, zwischen dem Es und dem Über-Ich eine Verbindung in Form eines Kompromisses zu finden. Es muss zum einen den emotionalen Grundbedürfnisse und Triebansprüchen zu einer realitätsangepassten Verwirklichung verhelfen, gleichzeitig aber den normativen Einschränkungen des Über-Ichs Rechnung tragen. Das Ich ist folglich die zentrale Entscheidungsinstanz und übernimmt die Rolle der Selbstkontrolle. Als das Realitätsprinzip bedient es sich der Wahrnehmung und des Gedächtnisses und steht daher für das Bewusstsein. (vergl. Kriz, 1989: 37)

Für Kinder bedeutet es eine enorme Anstrengung, ihr schwaches, noch unfertiges Ich einer solchen Balanceleistung auszusetzen, sie müssen ihre unbewussten, emotionalen Grund-bedürfnisse bezüglich gesellschaftlicher Werte abwägen und gegebenenfalls zurückstellen.

2.3.2. Das Neurosenmodell

Die Entstehung von Neurosen ist das Ergebnis eines psychischen Konflikts zwischen dem Über-Ich als Gewissen, dem Ich als realitätsbezogener Teil der Persönlichkeit und dem Es, dem Trieb. "Die neurotischen Symptome stellen eine Kompromisslösung dar und sind als Ersatz einer Triebbefriedigung zu verstehen" (W. Horney/ J.P. Ruppert, 1970: 670).

Die Libidoentwicklung setzt bereits kurz nach der Geburt ein. Das Ich und das Über-Ich des Kindes müssen sich jedoch erst langsam entwickeln, sie hinken folglich immer ein wenig dem Es, dem Sexualtriebe hinterher. Diese drei Instanzen müssen daher in einem fortwährenden Konflikt miteinander stehen. Durch die Entwicklungsdifferenzen entstehen in der früh-kindlichen Entwicklung ungelöste, unbewusste Konflikte und Ambivalenzgefühle. Diese Dynamik und folglich auch die daraus resultierenden Ängste sind dem Kind nicht bewusst und sind für das Kind auch nicht zu bewältigen. Zur Vermeidung psychischer Demontage und Angstbewältigung setzt das Ich Abwehrmechanismen ein: Verdrängung, Projektion, Regression, Reaktionsbildung, Rationalisierung und Sublimierung.

Nach überwiegender Meinung der Freud-Schüler ist die "normale" Form der gesunden Triebregulation die direkte Abfuhr der Bedürfnisse, bei der das seelische Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Der Mensch erwirbt jedoch erst in der späteren Sozialisation die Fähigkeit, seine Befriedigung hinauszuschieben, abzuwehren oder umzulenken. Die Sublimierung lässt den Weg zur gesunden Persönlichkeitsentwicklung offen. Wenn jedoch die Energie verbotener Triebwünsche sich nicht abreagieren kann und ins Unbewusste verdrängt wird, wird die regulative, kathartische Funktion der Psyche blockiert. Hierbei werden die Triebbegehren nicht ausgelöscht, sondern kanalisieren sich in neurotische Symptome wie z.B. Hemmungen, Sperrungen, Ängste, Schuldgefühle und Zwänge. (vgl. Breinbauer 1980: 312)

Freud räumte auch ein, dass das Verbot der frühkindlichen Sexualität nicht ohne Wirkung auf die spätere Kulturbereitschaft des Individuums bleiben kann. Vieles unserer Kultur gehe folglich auf Kosten der Sexualität durch die Einschränkung sexueller Triebkräfte.

Bedeutend für die Psychoanalytische Pädagogik waren diese Erkenntnisse deswegen, weil man daraus folgerte, dass man Neurosen vermeiden könne, wenn man dem kindlichen Ich zunächst einmal seine Aufgabe ersparen könne, also die kindliche Sexualentwicklung möglichst frei gewähren ließe, wie es z.B. bei einigen Urvölkern der Fall ist. Einige Jahre später revidierte Freud jedoch seine Meinung diesbezüglich, wobei die Psychoanalytische Pädagogik diese Wendung Freuds ebenfalls mit vollzog (ich werde später diesen Punkt noch ausführlicher darstellen).


Diplomarbeit von Kerstin Liekenbrock: Selbstregulation, FH Mannheim 2002
Inhalt
      1.3. Zum Aubau der Arbeit

   2. Grundgedanken der psychoanalytischen Pädagogik
      2.1. Gegenstand der Psychoanalyse
      2.2. Kurzer geschichtlicher Überblick der Psychoanalyse und die Entstehung der psychoanalytischen Pädagogik
      2.3. Die psychoanalytischen Wurzeln Sigmund Freuds
         2.3.1. Das Instanzenmodell
         2.3.2. Das Neurosenmodell

         2.3.3. Das Phasenmodell